"Es gibt einen Konflikt darüber, wie das Land regiert wird"

Interview

El Amrani, Direktor des Nordafrika Projekts der International Crisis Group spricht über die Unzufriedenheit im ägyptischen Militär mit dem Führungsstil von Präsident al-Sisi und fragt, ob er eine Verfassungsänderung anstrebe, um Präsident auf Lebenszeit zu werden.

Issandr El Amrani ist Direktor des Nordafrika Projekts der International Crisis Group (ICG). Er hat jahrelang in Kairo gelebt und dort mit The Arabist einen der ersten und meist gelesenen Blogs über arabische Politik und Kultur gegründet. Zusätzlich zu den Berichten der ICG sind seine Analysen und u.a. erschienen in: The Economist, London Review of Books, Financial Times, The National, The Guardian.

 

Dieser externe Inhalt erfordert Ihre Zustimmung. Bitte beachten Sie unsere Datenschutzerklärung.

video-thumbnail Open external content on original site

Vom 26. bis 28.3.2018 finden in Ägypten die Präsidentschaftswahlen statt, im Vorfeld hat es Säuberungen im Militär gegeben, ebenso wurde der Chef des Geheimdienstes General Intelligence Service (GIS) abgesetzt. Wie beurteilen Sie das?

Seit Juli 2013, als das Militär geputscht hat, wurde der politische Raum geschlossen. Nicht nur für Islamisten sondern für alle. 2014, als der damalige Verteidigungsminister al-Sisi Präsident wurde, hat sich dieser Trend sogar noch verstärkt.  In den letzten Jahren hat es also extrem wenig politischen Raum für Politik und Kritik gegeben. Wahlen, auch die im März, wären ein Gelegenheit gewesen, den politischen Raum wenigstens etwas zu öffnen.

Auch wenn allgemein die Wiederwahl von al-Sisi als ein Fakt angesehen wurde, dachte man, dass wenigstens einige andere Kandidaten die politische Debatte in Ägypten etwas erweitern könnten. Doch alles, was in den letzten sechs Monaten mit der Wahl zu tun hatte, ist ziemlich verwirrend. Im November 2017 wurde General Mahmoud Hegazy, Stabschef der Streitkräfte und verschwägert mit dem Präsidenten entlassen.

Ein weiterer enger Verbündeter al-Sisis, General Khaled Fawzy, der Geheimdienstchef, wurde im Januar 2018 entlassen. Ist dies ihrer beruflichen Leistung geschuldet, oder nicht doch eher größeren politischen Zusammenhängen - vor allem, im Fall von Khaled Fawzy, mit dem Auftauchen von politischen Herausfordern? Es sind nicht die üblichen linken oder liberalen chancenlosen Politiker, sondern hochrangige Ex-Militärs, die als solche eine viel mächtigere Herausforderung darstellen, und deren Verhalten in der Tat auf Spaltungen in der Armee hindeuten.

Meinen Sie damit den ehemaligen Stabschef unter Mubarak Sami Anan?

Ja, genau und Ahmed Shafik, ehemaliger Chef der Luftwaffe und Mubaraks Premierminister. Shafik wurde in einem Hotel für mehrere Wochen festgehalten, bis er erklärte, dass er doch nicht antreten wolle. Anan, der in der post-2011 Phase ein Konkurrent on al-Sisi war, erklärte seine Absicht zu kandidieren in einer Fernsehansprache, die wegen seiner starken Kritik an al-Sisis sowohl Konservative als auch Fortschrittliche in Ägypten elektrisierte.

Die Frage ist also, warum toleriert al-Sisi keinen anderen Kandidaten und besonders keinen, der wie er aus dem Militär kommt? Selbst, wenn alle sagen, er hätte sowieso die Wahlen gewinnen können. Al-Sisi selbst hat mehrfach geäußert, dass er eine Gefährdung der Einheit des Militärs niemals zulassen werde. Allein die Tatsache, dass verschiedene potentielle Kandidaten einen militärischen Hintergrund haben, ist für al-Sisi schon unakzeptabel. Es würde die Botschaft aussenden, das Militär sei nicht einig.

Das führt uns zu der Frage, ob das Militär in der Tat gespalten ist. Gibt es interne Kritik an al-Sisi? Zu der Zeit als Anan verhaftet wurde, gab es Gerüchte, dass verschiedene Offiziere mittlerer Ränge ebenso verhaftet wurden. Wir müssen hier spekulieren, aber die Vorstellung, dass es im Militär Stimmen gibt, die wie in der ägyptischen Bevölkerung auch, eine Wechsel wollen und tief unzufrieden mit dem gegenwärtigen Regime sind, ist schon äußerst bedrohlich für den Präsidenten.

Bei der live übertragenen Eröffnung des von dem italienischen Konzern ENI entdeckten Gasfelds im Mittelmeer unterbrach al-Sisi die Präsentationen immer wieder mit langen, sehr erbosten Einwürfen. Jede Bedrohung der Einheit der Armee und der Sicherheit Ägyptens könne nur über seine Leiche stattfinden. Eine klare Warnung an seine Gegner. Warum? Es wäre doch so viel einfach gewesen, andere Kandidaten zuzulassen und trotzdem die Wahlen zu gewinnen.

Ist er, al-Sisi, also tatsächlich viel unsicherer, als es den Anschein hat? Ist er wirklich in einer Position, in der gegen jeden möglichen Konkurrenten hart vorgehen muss? Denn Leute wie Sami Anan haben eine gewisse Bewegung in die ägyptische Politik gebracht, obwohl sie nicht besonders populär sind. Ihr Ruf nach Wandel kommt sowohl bei den Unterstützern des Aufstandes von 2011, als auch denen des Militärputsches von 2013 gut an. Sie bringen die Themen Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und Pluralismus auf. Und das ist offensichtlich mehr als al-Sisi ertragen kann.

Würden Sie so weit gehen, dass es unterschiedliche politische Fraktionen in der Armee gibt?

Nur weil es abweichende Meinungen im Militär gibt, heißt es nicht, dass es große Abspaltungen gibt. Doch es gibt einen Konflikt im Militär über die Art und Weise, wie das Land regiert wird. Und ich glaube, es gibt eine in die Zukunft weisende ernsthafte Befürchtung. Al-Sisi hat gemäß der gegenwärtigen Verfassung nur eine zweite Amtszeit. Alles deutet darauf hin, dass er im nächsten oder übernächsten Jahr versuchen wird, durch eine Verfassungsänderung die Begrenzung abzuschaffen. Dann wäre er ein weiterer Präsident auf Lebenszeit. Ich bin sicher, dass es dagegen großen Widerstand geben wird, auch innerhalb des Militärs. ...

Heißt das, der ägyptische Präsident lässt sich von China inspirieren? Und welche Konsequenzen sehen Sie im Fall einer Verfassungsänderung für europäische Politik?

Trotz der schrecklichen Repression und Menschenrechtsverletzungen hatten die meisten Länder in Europa, besonders die wichtigeren, Deutschland und Frankreich, kaum Skrupel sich auf al-Sisi einzulassen.

Momentan sehen viele Ägypter keinen Horizont. Sie waren stark verunsichert wegen des Chaos von 2011 und 2013 und viele hatten ihre Hoffnungen auf die Armee gesetzt, damit sie wieder Ordnung herstelle. Aber dafür gibt es eine klare Frist, nämlich 2022, wenn al-Sisis zweite wahrscheinliche Amtszeit endet. Und spätestens dann, so mögen viele hoffen, könnte es zu einer Öffnung kommen, mit neuen Leuten an der Spitze, um nicht das gleiche Problem zu haben, wie unter Mubarak, der 30 Jahre an der Macht war.

Al-Sisi stützt sich auf einen sehr kleinen Kreis von Entscheidungsträgern, er hat nicht versucht größere Gruppen einzubinden. So fühlt sich ein größerer Teil der Business Elite ausgeschlossen. Besonders nachdem das Militär seinen Wirtschaftsaktivitäten in Bereiche ausdehnt, die zuvor dem Privatsektor gehörten. Menschen, die den Aufstand von 2011 unterstützten und soziale und wirtschaftliche Reformen sehen wollten, sind vollkommen enttäuscht, denn das gegenwärtige Regime ist wesentlich repressiver als unter Mubarak.

Niemand erwartet jetzt irgendeine Änderung.

Die große Frage ist jedoch, was 2022 geschehen wird. Und besonders die Europäer sollten sich überlegen, auch angesichts der Schritte von Präsident Xi in China, ob das eine lebenslange Amtszeit jetzt zur Regel wird? Die Begrenzung ist noch als einer der wenigen Erfolge von 2011 geblieben. Wenn man sie abschafft, bringt man alle Probleme Ägyptens zurück und stellt die Möglichkeit eines friedlichen Machtwechsels in Frage. Und das bedroht offensichtlich die langfristige Stabilität Ägyptens.

Das Interview führte Joachim Paul; er war 2009 bis 2017 Büroleiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Ramallah und Tunis und dort zuständig für das Ägypten-Programm der Stiftung.